LTI oder der Übertritt von Sprache zum Unmenschlichen
Was die sich verändernde Sprache mit dem Aufstieg der Naitonalsozialisten zu tun hat: Ein Abend über Victor Klemperer - den Dresdner Sprachwissenschaftler und sein so wichtiges Tagebuch aus den Jahren des sogenannten Dritten Reiches. Ein Programm von Axel Thielmann und dem Leipziger KlangProjekt.
Es wird ein besonderer Abend, an einem besonderen Tag: An einem 9. November brannten in Deutschland die Synagogen - und das hatte auch mit der sich verändernden Sprache zu tun. MIt der LTI - der Sprache des sogenannten Dritten Reiches -, wie sie der Dresdner Sprachwissenschaftler Victor Klemperer beschrieb, der selbst aus einer jüdischen Familie stammte. "Mein Kampf", die Bibel des Nationalsozialismus, so Klemperer, begann 1925 zu erscheinen, und damit war die Sprache des Nationalsozialismus in allen Grundzügen buchstäblich fixiert. Durch die "Machtübernahme" der Partei wurde sie 1933 aus einer Gruppen- zu einer Volkssprache. Sie bemächtigte sich aller öffentlichen und privaten Lebensgebiete: der Politik, der Rechtsprechung, der Wirtschaft, der Kunst, der Wissenschaft, der Schule, des Sportes, der Familie, der Kindergärten und der Kinderstuben.
Victor Klemperer führte in diesen dunklen Jahren Tagebuch. Ein grausiges Dokument des Lebens und Sterbens in dieser Zeit; aber auch der Verarmung der Sprache. Dass Klemperer selbst überlebte, verdankt er ausgerechnet dem dramatischen Sterben der Menschen und der Stadt Dresden in der Bombennacht des 13. Februar 1945. An diesem Tag hatte er noch selbst Briefe an die 70 noch in Dresden verbliebenden Juden austeilen müssen: Ein Rundschreiben, dass die Anweisung enthielt, man „habe sich Freitag früh im Arbeitsanzug mit Handgepäck, das eine längere Strecke zu tragen sei, und mit Proviant für zwei bis drei Reisetage in der Dresdner Zeughausstraße 3 einzufinden. Vermögens-, Möbel- etc. Beschlagnahme findet diesmal nicht statt, das ganze ist ausdrücklich nur auswärtiger Arbeitseinsatz – wird aber durchaus als Marsch in den Tod aufgefasst“. Seit Jahren verschickten deutsche Behörden solche Schreiben. Und alle, denen Klemperer diese Botschaft überbrachte, waren überzeugt, dass es sich nicht um einen – wie angekündigt – Arbeitseinsatz, sondern um eine Reise ohne Wiederkehr handelte.
Er überlebt - wie erwähnt, rettet im ausgerechnet die tötliche Bombennacht Dresdens das Leben: "Am Abend dieses 13. Februar brach die Katastrophe über Dresden herein: die Bomben fielen, die Häuser stürzten, der Phosphor strömte, die brennenden Balken krachten auf arische und nichtarische Köpfe, und derselbe Feuersturm riß Jud und Christ in den Tod; wen aber von den etwa 70 Sternträgern diese Nacht verschonte, dem bedeutete sie Errettung, denn im allgemeinen Chaos konnte er der Gestapo entkommen“, schrieb er in sein Tagebuch.
Am 9. November stellt Axel Thielmann gemeinsam mit dem Leipziger KlangProjekt in einem sehr nahen literarisch-musikalischen Programm die Sprache der Nazis und das Leben Klemperers in den Mittepunkt. Auch angesichts der Gefahr, die von populistischen Sprachvereinfachern unserer Zeit ausgeht, sind seine Texte hochaktuell ...
Buchcover: Reclam Verlag